KRAWARIK, Hans: Siedlungsgeschichte Österreichs. Siedlungsanfänge, Siedlungstypen, Siedlungsgenese (= Geographie, Bd. 19). LIT Verlag Wien/Berlin 2006. 624 S.

Im Vorwort bezeichnet der Autor die Siedlungsgeschichte als grundlegenden Forschungszweig mit dem Ziel, durch neue Zugangsweisen und multidisziplinäre Vorgangsweise Historikern und Siedlungsforschern den in den letzten drei Jahrzehnten erarbeiteten Forschungsstand näher zu bringen. Innerhalb des siedlungsgenetischen Geflechts von Siedlungstypen gilt es, mittels Siedlungsgenese die Siedlungsanfänge herauszuarbeiten. Dabei müssen herrschafts-, agrar-, umwelt-, industrie-, mentalitäts- oder sozialgeschichtliche sowie demographische Sichtweisen einbezogen werden, wobei vielfach die Grenzen Österreichs zu überschreiten sind.

Die Einführung richtet den Blick auf die Veränderungen anthropogener Beziehungen zum Lebensraum durch Siedlungen, aber auch durch Flurstrukturen. „Der Siedlungsstandort ist Mittelpunkt wirtschaftlichen Geschehens und sozialen Lebens“, innerhalb einer (herrschaftlichen) Verwaltung. Die Siedlungsgeschichte ist hierbei vernetzt mit Siedlungsgeographie, Siedlungsarchäologie, Ortsnamenkunde, Agrargeschichte, Volkskunde und Patrozinienforschung. Als neuen Wissenschaftszweig hebt der Autor die „siedlungsgenetische Forschung“ hervor, die „auf die Dynamik des Siedlungsgeschehens abzielt“ wobei der Kulturflächenanalyse in ihrer zeitlichen Dimension ein besonderer Stellenwert zukommt.

Entsprechend dieser Zielsetzung liegt eine chrononologische Darstellung nahe. In zwölf Hauptkapiteln zeigt der Autor auf 376 Seiten, wie in den einzelnen Epochen die Siedlungsdynamik das Land immer intensiver gestaltet – z. T. auch belastet hat. Eine Zusammenfassung jedes Hauptkapitels erleichtert die Übersicht über die vielfältigen Einzelergebnisse.

Der Leser wird von der urgeschichtlichen Zeit mit erster Sesshaftigkeit im Neolithikum in die Zeit der Römer mit der Errichtung von Legionslagern, Kastellen, villae rusticae mit Quadrafluren, Städten, Gewerbesiedlungen und Straßennetz geführt. Das anerkennenswert umfangreiche Kapitel Frühmittelalterliche Ethnogenesen und Siedlungsprozesse befasst sich ausführlich mit einem Zeitraum, in dessen Dunkel in den letzten Jahrzehnten von verschiedenen Seiten Licht gebracht werden konnte. Einführend werden hierzu „Methoden und Zugänge“ von Schriftformen, Siedlungsformen, Flurforschung, siedlungsgenetischer Forschung und archäologisch-geographischer Methode hinsichtlich einer Kulturflächenanalyse dargestellt, was eine Bereicherung für Historiker wie Geographen bringt. Nach dem Ende des Weströmischen Reiches blieben vereinzelt römische Strukturen erhalten, die nach Theoderichs Tod unter fränkische Oberhoheit gelangten, wofür die Namensänderung von Teriolis (Zirl) in St. Martinsberg ein deutlicher Beleg ist. Nach einer Neuordnung am Ende der Völkerwanderungszeit, die durch archäologische Funde und Ortsnamen belegt ist, legten die von den folgenden Herrschaftsstrukturen beeinflussten „Siedlungsprozesse und Siedlungselemente“ die Grundlagen für spätere Siedlungsstrukturen, und zwar sowohl bezüglich der Orte selbst als auch deren Fluren. Dabei kann der Autor überzeugend darlegen, dass eine „Landnahme“ im Sinn einer Zuwanderung dichter Bevölkerungsgruppen eine Fiktion ist. Anhand zahlreicher Beispiele wird das von Germanen und Romanen beeinflusste Siedlungsbild Westösterreichs dargestellt, wobei der Althof mit über 230 ha Kulturfläche zum neuen bestimmenden Siedlungselement wurde. Frühe Altsiedlungen auf –ing kann der Autor auf Einzelhöfe zurückführen. In Ostösterreich weist er mit Hilfe der Kulturflächenprospektion eine awarisch geprägte Weidewirtschaft nach. Bei der karolingischen Herausforderung geht es zunächst um die Siedlungspolitik der Baiernherzöge Odilo und Tassilo III., die bedeutende Klöster gründeten. Nach dem Sturz Tassilos machte Karl der Große Pfalzen zu organisatorischen Zentren mit höheren Dienstleistungsfunktionen. Mit diesem Organisationsmuster wurde nach dem Sieg über die Awaren auch der Ostalpenraum überzogen. Bis zum Ungarnsturm kam es hierbei zur planmäßigen Besiedlung durch Planweiler mit Streifenfluren, die auf die Dreifelderwirtschaft abgestimmt waren. Feudale Strukturen und Verhufung bestimmten die Struktur von neuem Rodungsland.

Die Jahrtausendwende im Ostalpenraum ist ein Zeitabschnitt, in dem im Altsiedelland Althufen errichtet wurden, die Zentren neuer Grundherrschaften wurden. Der Autor kann hierbei glaubhaft machen, dass man nicht grundsätzlich von einer Kolonisation „Haufendörfer mit Gewannflur“ sprechen kann, weil diese „erst nach einem langen Prozess aus Höfen der älteren Besiedlung entstanden“. Eingehend wird der siedlungsgeschichtliche Einfluss von Reichskirche bzw. Bistümern gewürdigt, denen bei der Kontrolle der Alpenpässe eine wichtige Rolle zukam. In dieser Phase umwälzender Veränderungen spielten agrartechnische Fortschritte eine besondere Rolle; dadurch war es möglich, Huben von Althöfen abzuspalten. Der Siedlungswandel im Hochmittelalter ging von veränderten Feudalstrukturen aus, wobei neben Ministerialen und Edelfreien, die Höhenburgen errichteten, vor allem Klosterorden die Siedlungslandschaft verändernd prägten. Beschrieben werden genetische Weiler, Planweiler und Gruppenhöfe sowie Straßen- und Angerdörfer mit exakt ausgemessenen, auf die Dreifelderwirtschaft ausgerichteten Fluren. Hervorzuheben ist, dass der Autor hierbei zwischen genetischen und gegründeten Siedlungen unterscheiden kann. Zur Siedlungsvielfalt trugen sodann in Höhenlagen die auf Viehzucht ausgerichteten Schwaighöfe, im Flachland die mit kleineren Flächen auskommenden Weinbaugüter und am Alpenostrand Waldhufendörfer bei. Durch die von Kaiser Friedrich Barbarossa vorgenommene Loslösung von Bayern wurde Österreich ein eigenes Herzogtum mit Wien als Residenzstadt. Der Adel gründete Städte und Märkte als zentrale Orte, z. T. am Ausgangspunkt von Passstraßen. Auf die im Hochmittelalter zu hoher Intensität gelangte Siedlungslandschaft folgte durch Wüstung und Veränderung im Spätmittelalter ein deutlicher Niedergang, der, ausgehend von kaltfeuchten Sommern u. a. durch eine Agrarkrise, aber auch durch „Handel und Wandel im Ständestaat“ verursacht wurde. Doch betont der Autor, dass die Verödungserscheinungen örtlich sehr unterschiedlich waren und nur vereinzelt ganze Dörfer aufgegeben wurden. Katastrophale Auswirkungen hatten neben den Hussitenkriegen auch die Bedrohungen durch Ungarn und Osmanen. Die Verlagerung des Siedlungswachstums nach Westen erfolgte wegen des Bergbaus auf Salz und Silber. Daneben blühten Städte und Märkte auf.

Konfessionalisierung, großer Krieg und frühe Türkenkriege fanden auch in siedlungsgeschichtlichen Vorgängen ihren Niederschlag. Dabei geht es einerseits um Konflikte in Zusammenhang mit Gegenreformation und Geheimprotestantismus mit der Folge von Exulantentum, andererseits um frühe, über 100000 Opfer fordernde Türkenkriege, als das osmanische Heer bis nach Wien vorrückte. Im frühmodernen Staat betrieben die Fürsten eine Industrieansiedlungspolitik, die die Produktion von Seide, Tuch, Spiegel, Porzellan und Tabak zum Ziel hatte und siedlungsgeschichtlich vielfach zur Söldenbildung führte. Das Zeitalter von Absolutismus und Merkantilismus veränderte seit ca. 1600 Bergbau, Eisenwesen und Weinbau. Nach der zweiten Türkenbelagerung Wiens 1683 kam es zu einem merkantilistischen Gründungsboom von Tuch-, Spiegel- und Porzellanmanufakturen sowie Seiden-, Instrumenten- und Tabakfabriken, eine Entwicklung, die, erweitert durch Webstühle, Bandmanufakturen und Papiererzeugung, bis in die Zeit Maria Theresias anhielt. Dabei wurden erstmals Arbeitersiedlungen gegründet. Daneben kam es zur Urbanisierung des Adels. Das Bestreben der Habsburger, den konfessionellen Staat durchzusetzen, erfasste durch Vertreibung und Emigration bzw. Transmigration von Geheimprotestanten z. B. im Salzburger Land 20 % der Bevölkerung. Unter Maria Theresia und Joseph II. wurden die Siedlungen im Zeitalter der Reformen und Manufakturen nachhaltig verändert. Im 18. Jh. kam es zu Verwaltungsreformen, zur Vertreibung von wohlhabenden Bauern nach Siebenbürgen, sowie zur Neukolonisation zum Zweck der Ertragssteigerung und auch ab ca. 1740 zum Anbau der Kartoffel, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Im ländlichen Raum errichteten ehemalige Inleute Kleinhäuser. Unter Joseph II. wurden Kataster angelegt und Katastralgemeinden geschaffen; 1770 führte man Hausnummern ein. Aufgrund des Toleranzpatents von 1781 meldeten sich 74000 Protestanten. Gleichzeitig wurde fast die Hälfte aller Klöster aufgehoben und in Gefängnisse, Waisenhäuser, Kasernen oder Manufakturen umgewandelt. Vom Frauenüberschuss in urbanen Ballungsräumen profitierte die Textil- und Papiererzeugung. „1802 setzte eine neue Ära des Manufaktur- und Fabrikbaus samt Arbeiterquartieren ein.“ Für die Stadtentwicklung von Bedeutung war, dass nun Basteien und Mauern niedergelegt werden konnten. Im Kapitel über Akzente der Industrialisierung und Verstädterung im 19. Jahrhundert wird ausgeführt, wie nach 1830 Dampfmaschine und Eisenbahnlinien die Standortmuster der Industrie veränderten und wie Industriedörfer entstanden. Mit der Gründerzeit (1857-1914) der franzisko-josephinischen Epoche setzte ein verstärkter Verstädterungsprozess ein, wobei Wiens Bevölkerung u. a. durch Landflucht jährlich um 3 % stieg und sich die Industrie in die Vororte verlagerte. Parallel dazu wurde in einer „ersten Agrarrevolution“ die Fruchtfolge des Dreizelgensystems abgelöst von freier Wirtschaft ohne Schwarzbrache; es kam zu Getreideüberschuss, Kartoffelanbau und Stallfütterung.

Wenn der Autor die Siedlungsveränderungen der Zwischen- und Nachkriegszeit auch als Skizze apostrophiert, bringt er doch die wesentlichen siedlungsrelevanten Vorgänge in ihren ursächlichen Zusammenhängen auf den Punkt: In der Zwischenkriegszeit führte die sozialdemokratische Politik zu Investitionsschwäche und privatem Kapitalmangel, gefolgt von steigenden Arbeitslosenzahlen und Landflucht. Nach 1945 verursachte die Flucht von 1 Million vertriebener Sudetendeutscher und ca. ½ Million Volksdeutscher Wohnungsprobleme. Tourismus und Kraftwerksbau förderten den Wiederaufbau. Aufgrund des Eisernen Vorhangs und der Sowjetbesatzung in der Ostregion Österreichs setzte eine nachhaltige Ost-Westwanderung von Menschen, Kapital und Tourismus ein mit der Folge von partiellen Wüstungserscheinungen. Daneben beeinflussten Gastarbeiter und die Transitlawine die Siedlungslandschaft. Knapp dargestellt werden auch die Folgen von Kernstadtentleerung, Suburbanisierung und Pendelwanderung sowie Aufsplitterung in Arbeitswohnsitze und Freizeitwohnsitze, wobei Zweitwohnungsregionen im Kranz um die großen Städte periphere Siedlungen neu belebten. Doch führten diese „Weekend-Siedlungslandschaften“ zur Zersiedlung und einem ökologisch bedenklichen Landschaftsverbrauch. Der ländliche Raum mit reinen Bauern als Minderheit erhielt durch die „Landschaftspflege“ neue Akzente.

Dem Text folgen die 1723 Anmerkungen. Der Anhang bringt auf 108 Seiten ein Kartenverzeichnis, ein Glossar, ein Verzeichnis der Abkürzungen, ein Quellen- und Literaturverzeichnis, sowie ein Ortsregister.

Dieses Werk reicht weit hinaus über eine bloße Aneinanderreihung bereits bekannter Fakten. Diese ziehen sich lediglich wie ein zarter roter Faden durch das Werk, wobei nur dort, wo es dem Autor nötig erscheint, gewissermaßen Knoten in diesem Faden gebildet werden. An solchen Stellen werden intensive Einflüsse auf das Siedlungsbild – einerseits durch die herrschende Schicht, andererseits durch den von Bevölkerungszunahme getriebenen siedelnden Menschen dargestellt. In geradezu genialer Weise gelingt es dem Autor hierbei, ständig Querverbindungen herzustellen zwischen Entstehung und Wandlung von Siedlungstypen unter Einbeziehung von Fluren, was durch 44 Karten bzw. Orts- und Flurpläne veranschaulicht wird. Trotz der Beschränkung auf Schwarzweißwiedergabe bleibt die Aussagekraft der Karten und Pläne gewahrt, so dass sie die jeweiligen Textstellen direkt begleiten. Darüber hinaus wird präzise eingegangen auf die unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Regionen Österreichs, wie den ostalpinen Randgebieten, Inner- und Westösterreich, Tirol und Salzkammergut, wobei diese Entwicklungen in Talbereichen anders verliefen als in Berglagen. Diese unterschiedlichen Entwicklungen werden unter Hinweis auf neueste Literatur durch zahlreiche Beispiele belegt. Der Autor versteht es, die Vielfalt der Erscheinungen in einen übersichtlichen Zusammenhang zu bringen. Besonders hervorzuheben ist die kritische Stellungnahme zu überholten Forschungsergebnissen, wobei es sehr verdienstvoll ist, überzeugend neue Deutungen anzubieten. Abgesehen von einem Überblick über unterschiedliche Forschungsergebnisse kann der Autor eigene Forschungen über Althöfe zugrunde legen und somit Falschdarstellungen widerlegen. Insgesamt ist hier ein verdienstvolles Werk entstanden, das interdisziplinär die historische wie geographische Forschung bis über Österreichs Grenzen hinaus in überzeugender Weise bereichert.

Prof. Dr. Dr. Friedrich Eigler, Universität Eichstätt

Mail von Univ. Prof. Dr. Martin Seger, Universität Klagenfurt, 12. Juli 2016

Lieber Hans,

gerade lese ich wieder eine Passage in Deiner großen Siedlungsgeschichte Österreichs, wie schon oft zuvor, auch im Zusammenhang mit meinen landeskundlichen Ambitionen. Im Gegensatz zu diesen fächerübergreifenden und zwangsläufig damit vergleichsweise seichten Erzählungen bewundere ich Deine Leistung immer mehr, das ist eine der seltenen Kombinationen des Historischen mit der raumbezogenen Realität, und noch dazu in einem äußerst respektablen Umfang. Respekt auf höchster Ebene. Beim Nachschauen nach Deiner mail-Adresse habe ich die Ehrung gesehen, die Dich von Seiten des Landes OÖ erreicht hat, ich gratuliere ganz herzlich.

Bei uns alles imm grünen Bereich, mit dem Älterwerden vermehrt sich halt Imponderabilisches. Morgen sag ich der E., dass ich Dir gemailt habe. Da heißt es dann: hast du ihn auch von mir grüßen lassen?

Das tu ich also im voraus  (bevor die Anweisung dazu kommt). Von uns beiden herzliche Grüße,

Martin

Aus der Rezension von Hansjörg Eichmeyer 2011

Hans Krawarik, EXUL AUSTRIACUS – Konfessionelle Migrationen aus Österreich in der Frühen Neuzeit

(Austria: Forschung und Wissenschaft, Geschichte Bd. 4) LIT VERLAG GmbH &Co,KG, Wien-Berlin 2010, 323 Seiten.

Auf vielen Seiten und mit vielen Beispielen dokumentiert der Autor wie das Haus Habsburg, unterstützt von der römischen Kirche und den Jesuiten, oft mit grausamen Methoden hundert Jahre lang sich bemühte die „lutherische Pest“ und alle Ketzerei zu beenden oder außer Landes zu treiben. Überzeugt, dass nur ein Glaube die Einheit des Vielvölkerstaates ermöglicht und dass die römisch-katholische Kirche die einzig wahre und alleinseligmachende Kirche sei, wurde alles darangesetzt dieses Ziel zu erreichen. Dazu bedurfte es immer neue Anläufe, denen dann entsprechende Vertreibungen und Emigra-tionswellen folgten. Rechtliche Grundlage dazu bot der sogenannten „Augsburger Religi-onsfriede“ von 1555 mit seinem „cuius regio, eius religio“, d.h, dass jeder deutsche Lan-desherr fortan in seinem Territorium die Konfession festlegen kann. Dieser Entscheidung hatte sich das Volk, ohne Rücksicht auf deren Gewissen und Überzeugung, zu beugen. Wer sich nicht in die Religion des Landesherrn fügte, musste das Land verlassen.

In den habsburgischen Ländern gab es hartnäckigen und langanhaltenden Widerstand. Hart waren die Sanktionen des Überwachungsstaates. Glaubensexamen vor der Refor-mationskommission, Zwangsemigration, Züchtigungen, Kerker, Zwangsrekrutierungen in das Militär bis hin zu langjährigen Galeerenstrafen. Für Denunziationen zahlte die Kaiserin Maria Theresia 50 Gulden, für arme Leute eine enorme Summe. Unter ihrer Regentschaft wurden den zwangsemigrierten Landlern vor der Abreise die Kinder unter 14 Jahren „zur Rettung ihrer Seelen“ weggenommen. Gleiches Schicksal erlitten 1685 über 500 Protes-tanten aus dem Defereggental aus dem Erzbistum Salzburg. Zuvor ließ dort der kath. Priester die Schule sperren, damit die Jugend nicht (die Bibel) lesen lernt.

Die Massenemigration aus den Erblanden bis 1650 erreichte ca. die Zahl von 100.000 Protestanten. Darunter waren viele Handwerker, Hammerherren und Fachleute (S.140). Dies brachte dem verlassen Land einen langanhaltenden wirtschaftlichen Schaden, während die teilweise durch Kriegswirren und Pest entvölkerten neuen Siedlungsgebiete neuen Aufschwung erfuhren. So klagt ein Kommissionsmitglied dem Abt von Göttweig 1626. „dass man in Freistadt und anderen Gebieten die Reichen fortziehen lasse und die Armen behalte… ist keine Relgionsreformation sondern eine Ausraubung der Provinz“ (S. 141). Die Besitzenden mussten 10 % bis fallweise 30% ihrer Habe als „Nachsteuer“ dem Staat bezahlen. Um dieser zu entgehen wanderten viele heimlich bei Nacht und Nebel aus.

Dieses Buch ist auch für alle Besucher der Landesausstellung 2010 eine nachträglich wert-volle Vertiefung und Erweiterung der dort gebotenen Information über die Refor-mation und Gegenreformation vom 16. bis 19. Jahrhundert (zuletzt 1837 Vertreibung von 427 Zillertalern S. 227) Für landes- und kirchengeschichtlich Interessierte ist dieses Buch eine Fundgrube interessanter und noch nicht allgemein bekannter Fakten. Ein reiches Ortsnamenverzeichnis ermöglicht den direkten Zugang zu lokalgeschichtlichen Ereignissen.

Nach der Lektüre dieses Werkes ist man herzlich froh, dass solche Zeiten in unserem Land vorbei sind und zwischen den beiden christlichen Konfessionen heute gute ökume-nische Beziehungen bestehen. Aber damit ist leider weltgeschichtlich dieses Thema noch lange nicht abgehakt. Die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ stellt fest, das derzeit die größte Christenverfolgung aller Zeiten stattfindet. 200 Millionen Christen (nun Katholiken, Protestanten, und Orthodoxe gemeinsam!) erleiden ihres Glaubens wegen unterschiedlicher Formen von Gewalt bis hin zum Mord. Lernt man nichts in Sachen religiöser Intoleranz aus der Geschichte? Dieses Buch kann dabei helfen.

Hansförg Eichmeyer